Der Himmel so blau, dass es schon fast unverschämt ist. Zumindest, wenn man aus Hamburg kommt. Die Brise so leicht, so zart, dass man still in sich hinein seufzt. Der norddeutsche Wind, der einem täglich die Blumentöpfe vom Balkon weht und die Haare ins Gesicht, ist ganz weit weg. Ich bin mal wieder in Südfrankreich, halb privat, halb beruflich, denn im Drome Tal wird am Freitag einer meiner Filme für Arte Re und Eco- Media auf einem Festival gezeigt: https://www.festival-lesyeuxdansleau.fr
Und da ich nie nein sagen kann, wenn Franzosen mich einladen (zu einem Apéro, einem 3,4,5 oder 14-Gänge Menu oder eben als Gast auf einem Filmfest), habe ich spontan einen Flug gebucht und bin nun hier. Zurück in meiner heimlichen Heimat. Denn sobald ich aus dem Flieger in Marseille steige, atme ich auf. Das Kerosin nehme ich gar nicht wahr, stattdessen nur noch: provenzalische Kräuter (sogar am Marseiller Flughafen! es riecht sofort – nach Provence…), höre die Sprache, bei der ich trotz weniger Stunden Schlaf zuvor hellwach bin und fühle ich wie ein Fisch im Wasser. Zu Hause. Angekommen.
Ich glaube ja nicht an Wiedergeburt, aber sehr oft und immer öfter denke ich: Hier hast Du schonmal gelebt, in Südfrankreich, das ist Deine eigentliche Heimat. Marseille habe ich neben meinen anderen kleineren Ortsfavoriten inzwischen sehr ins Herz geschlossen, diese ruppige, widerspenstige, harte, aber auch sehr ehrliche, liebenswerte und immer wieder spannende Stadt.
https://taz.de/Marseille-baut-um/!5499271/
Ich wohne im „Panier“, dem Gassen-und Künstlerviertel, das mittlerweile so hip ist, dass sich tagsüber Touristen grüppchenweise die Treppen hochschleppen und man mittlerweile überall Graffities sieht mit Unmutsbekundungen:
Kann ich verstehen, es ist zwar noch lange nicht, nicht mal ansatzweise, so touristisch und überfüllt wie die Schanze in Hamburg, weit davon entfernt, aber die Einwohner, die auf der Treppe vor ihrem Haus morgens ihren Kaffee trinken oder auf einem Hocker vor ihrer Galerie, staunen – und schütteln innerlich den Kopf, so scheints, über die Menschen mt Rucksäcken, Smartphones griffbereit für Fotos und Selfiesticks, die durch ihr gemütliches Viertel ziehen. Ich bin natürlich eine davon. Zwar nicht als Gruppe und ohne Selfiestick, aber eine davon, die umherstreift und glotzt. Bin ich deshalb besser, nur weil ich alleine bin? Nein. Natürlich nicht. Witzigerweise werde ich jedoch immer wieder angesprochen. Auf Französisch gegrüßt und nach dem Weg gefragt. Von schwitzenden und schon leicht verzweifelten Handwerkern, die ein Atelier im Viertel suchen, von französischen Familien mit Kindern, die einen bestimmten Laden suchen, und von Inhabern eines Geschäfts, die mich auf mein Kleid ansprechen. Und jedesmal denke ich: das ist ein Zeichen. Ich werde später in Südfrankreich leben, schon lange mein Plan, und je öfter ich hier bin, umso mehr weiß ich, dass es so sein wird. Kann man denn zwei Heimaten haben? Ja, kann man. Eine biografische. In meinem Fall Hamburg. Und eine Heimat des Herzens. Der Seele. Südfrankreich. Klingt kitschig, ist aber genauso. Meine Seelenheimat ist Südfrankreich. Schon immer gewesen. Die Sprache. Dieses Singen des Südfranzösischen. Ich habe zwei Jahre in Paris gelebt, dort spricht man hart, sehr hart. Und schnell. Das mag ich auch, aber die Südfranzosen singen und hängen an viele Wörter noch einen Vokal dran. Meine Welt. Meine Seele. Mein Leben. Hier. Noch nicht, aber später.
Ich wohne neben Michel, einem „Marseillais“, der im Art Deka-Stil zusammen mit anderen Künstlern in einem Hinterhof in einem Haus aus dem 18. Jahrhundert lebt. Morgens und abends kommt mich immer eine Katze besuchen, und ansonsten ist es ganz ruhig, nur dienKirche nebenan glöckelt regelmäßig laut und lieblich, mit einer erträglichen Melodie.
Doch was wäre Marseille ohne die Küste. Ganz vornan die Côte Bleue! Mit dem Zug kann man diese steile Felslandscat abfahren und aussteigen, wenn man Lust hat.
https://www.arte.tv/de/videos/074549-000-A/mit-dem-zug-entlang/
Ich bin in meine Lieblingsbucht gefahren, in der Helen vor ein paar Jahren schwimmen gelernt hat und in der das Wasser so türkis und glasklar ist, dass es fast unwirklich erscheint. Wenn man aussteigt aus dem Zug, muss man erst einmal über die Gleise treten, um dann einen steilen Weg runterlaufen bis zur Bucht. Die Zikaden zirpen laut es duftet nach Rosmarin und Thymian, nach Jasmin und Kiefern. Auf de Weg zur Bucht kommt man an hübschen kleinen Häusern vorbei, an zwei Restaurants und einer epicerie, die genau das verkauft, was das Herz für einen Ausflug in die Bucht begehrt: Pizza mit Sardellen, Quiche lorraine, Salade Nicoise, Aprikosen so groß wie Äpfel, dunkle Kirschen, Wassermelone, Luftmatratzen und Getränke. Und dann ist man da. Springt mit anderen Franzosen von den Felsen ins Meer oder lässt sich reinreiten, unterhält sich über den Hund („er ist schon alt, aber er liebt das Wasser – hat seit seiner OP eine Schraube im Fuß, weil er kürzlich unglücklich vom Felsen ins Wasser gerutscht ist. le pauvre…“ -„Können Sie mir Ihre Sonnencreme ausleihen? Ich hab meine vergessen und ich würde mich so gerne auf einen Felsen legen“ usw.) und lässt den Tag Tag sein, die Stunde Stunde und das Leben das Leben.
Hoch oben, auf einem Aquädukt, rollt irgendwann wieder ein Zug weiter Richtung Westen. Ich schwimme auf dem Rücken im türkis farbenen Wasser, das so klar ist, dass man auch in größerer Tiefe bis auf den Grund blicken kann, und der Himmel strahlt in unverschämtem Blau, gegenüber, nur ein paar Kilometer entfernt und doch gefühlt ganz weit weg – die Silhouette von Marseille. Und la vie est bleue.