Wenn das hier das Ende der Welt ist, dann ist es verdammt großartig! Und ziemlich schräg….Aber dazu später.

Stewart Island, NZ
Wir haben den äußersten Süden Neuseelands erreicht. Nein, wir sind sogar darüber hinaus gekommen und 4800km vorm Südpol gelandet. Auf einer Insel mit Namen Stewart Island, ein imposantes Island, von dem 93% unter Naturschutz stehen. Knapp 400 Einwohner leben auf Stewart Island – und für einen kurzen Moment dürfen wir an deren Lebenswelt teilhaben.

Stewart Island,Fischerhaus
Für mich war Stewart Island schon bei der Reisplanung ein heimlicher Traum. Warum kann ich gar nicht genau begründen, denn die meisten Touristen, auch Freunde, die bereits Neuseeland bereist haben, fahren in der Regel bis zum südlichsten Punkt Neuseelands, lassen sich Dort am Schild mit den Entfernungen zum Rest der Welt fotografieren und fahren dann weiter, meist aus Zeitggründen. (Wir knipsen uns natürlich ebenfalls an diesem erhabenen Ort…).

Bluff, Schild mit Hinweis Südpol
Wir mussten uns entscheiden. Entweder zu einem der beliebtesten Orte Orte Neuseelands, dem Milford Sound (eine imposante Fjordlandschaft) oder eben Stewart Island. Beides können wir unmöglich schaffen, das war irgendwann klar. Zum Milford Sound – Kotzpausen nicht eingerechnet – fährt man über unzählige Serpentinen drei Stunden. Ein Weg. Und denselben Weg muss man dann wieder zurück kacheln. Und wir haben nur noch knapp eine Woche in Neuseeland. Das Wetter sollte also für uns entscheiden. Der Wetterbericht zeigte für den Milford Sound Sonne an – was in der Gegend schon fast eine Sensation ist – und für Stewart Island durchwachsenes Wetter – was für diese Insel normal ist. Klare Sache also. Milford Sound.
Schweigen.
Ich blättere noch einmal im Reiseführer über die Seiten von Stewart Island und verabschiede mich im Geiste. Tschüss Traum. Aber wir haben so großartige Landschaften gesehen, da muss es ja nicht auch diese Insel sein, sagt die Vernunft. Außerdem ein Grund mehr, nochmal nach Neuseeland zu reisen. Frank greift sich den Reiseführer und liest. „Sie schreiben, man würde immer dann, wenn jemand auf der Insel Geburtstag hat, dessen Namen auf eine Schiefertafel am Supermarkt schreiben.“ – „Ich weiß.“ – „Und es soll nur einen Pub geben und keine einzige Bankfiliale.“ – „Ja, hab ich auch gelesen.“ – Schweigen. Die Entscheidung ist längst gefallen. Stewart Island, wir kommen.
Die Nacht vorher verbringen wir in Bluff, dem südlichsten Ort Neuseelands. In einem privaten Cottage, das augenscheinlich einer Künstlerin gehört.

Unser Cottage in Bluff/NZ

Bluff
Die Tür steht – wie immer hier – offen, der Schlüssel steckt. An den Wänden des Cottages hängen die Bilder der Besitzerin. Alte Fotografien gibt es ebenfalls, alles sehr schön, mit einem besonderen Blick auf die Welt.

Einladung zum Lesen
Wir tauchen mal wieder in ein neues, fremdes Leben, zumindest für kurze Zeit. Die Besitzerin muss in etwa so alt sein wie wir, mutmaßen wir, denn die CD-Sammlung besteht aus alten Scheiben, die wir früher auch gehört haben. Bryan Ferry, REM, Paul Simon. Es gibt viele Bücher und das Klo schmücken Postkarten, die ehemalige Gäste der Unterkunft geschickt haben. Wir legen „B52s“ auf und tanzen. Es wird ein sehr lustiger Abend. Wir hätten noch bleiben können, auch wenn Bluff selbst ein Kaff ist.

Begrüßung Cottage
Am nächsten Morgen beobachten wir, wie das Gepäck auf die kleine Fähre verladen wird. Die Sonne scheint, der Himmel knallblau mit Schäfchenwolken, es ist mild, das Licht fantastisch. Pastellig, wie so oft hier. Der Mann, der die Kisten verladen hat, setzt sich ans Steuer der Fähre. Es ist der Kapitän. Hierarchien sind den Neuseeländern zuwider, wie wir schon gehört haben. Da denkt man hier pragmatisch. Das Schiff muss losmachen und deshalb packen alle mit an, fertig. Die Überfahrt wird sehr schaukelig. Helen reiche ich wieder die Kotztüte, sie ist mittlerweile Profi. (Auf der letzten whale watch-Tour hatten wir zwar nur einen Wal gesehen und das auch nur durch die Fensterscheibe, aber dafür zehn Kotztüten verbraucht und so entschied der Kapitän, ein Maori, uns das Geld wegen der enttäuschenden Fahrt zurück zu geben).
Beim Friser waren wir alle vier in der Zwischenzeit auch. Was heißt Friseur, bei „Crazy Jane.“ Die zeigte uns gleich ihre private Fotosammlung und zusammen mit ihrer Kollegin und zwei weiteren Damen im Salon entstand ein herrliches Schwätzchen. Anfänglich unterbrochen durch die erstaunten Blicke der Mädchen, die eine Frau anstarrten, die aussah, als sei sie unter denTraktor gekommen. Ihr Kopf glänzte schwarz, denn sie ließ sich gerade die Haare cholorieren, ihre Augen waren ebenfalls schwarz umrandet, mit dunkellila Flecken und aufgequollenen Wangen. Ich fragte mich, ob Halloween hier später gefeiert wird oder ob vielleicht der Schönheitschirurg seine Lizenz erschummelt hat, als es trocken aus ihrer Kehle kam: „An accident.“ Die Dame ist über einen ihrer drei Pudel gestoplpert, als sie einen Igel aus ihrem Garten entfernen wollte und dabei auf den Kaninchenstall gefallen. Antonia und Helen flüsterten ungerührt: „Selbst Schuld. Warum muss man auch einen Igel entfernen.“

Bei Crazy Jane (man beachte die Frau im Hintergrund)

Bei Crazy Jane
Auf dem Weg in den Süden Neuseelands passieren wir an so faszinierenden Landschaften wie den Pancake Rocks und anderen landschaftlich großartigen Eindrücken, dass Frank einmal leise stöhnt vor einer Fahrt: „Bitte jetzt mal langweilige Natur, damit wir weiterkommen.“ Wir halten mal wieder nach jeder Kurve, denken jedesmal, whow, das wars aber jetzt, noch großartiger KANN es nicht werden, aber dann kommt wieder, peng, ein See, gigantisch, von Felsen eingerahmt, ein schneebedeckter Berg mit Palmen am Fuße, Riesenfarne, Wasserfälle und großartiges Licht. Ich packe meine Kamera gar nicht erst wieder ein. Knips. Klick. Uff. Staunen.

Pancake Rocks

Es grünt so grün…

See bei Queenstown

Landschaft am Mount Cook
Wir wandern zu blau schimmernden Gletschern, wohnen auf einer Farm mit Pferden und Ponys, so dass die Mädchen dicke Tränen weinen beim Abschied, und wir blicken beim Kochen auf Berge mit Eisspitzen.

Farmstay

Blick aus unserem Cottage, Farmstay

Franz Joseph Gletscher, NZ Südinsel

Franz Joseph Gletscher

Antonias und Helens erste Gletscherwanderung
Wir fahren durch atemberaubende Landschaften, Hügellandschaften wechseln ab mit spitzen Felsen, blau schimmernden Seen, Riesenbäumen, Farnen. Hier wurden „der Hobbit“ und große Teile von „Herr der Ringe“ gedreht und man versteht warum die Filme weltweit so eine Magie ausgelöst haben, denn es ist auch die Landschaft als wichtiger Protagonist der Filme. Wir halten ständig an, Frank und ich machen Fotos und man möchte die Zeit anhalten, so schön ist es. Aber wir müssen weiter.
Wir machen unterwegs an der Westküste halt beim Wild Food Festival. Die Mädchen schreien zunächst vor Verzückung: „Guck mal, da laufen Bananen!“ Und: „Hi hi, der hat ein Nest auf dem Kopf.“ Wir staunen aber nicht nur über die verrückten Verkleidungen, sondern auch über das, was zu Essen angeboten wird. Und von vielen Neuseeländern gekauft – und geschluckt. Würmer. Hühnerfüße. Schweineherz. Schafshirn. (Mehr dazu demnächst auf der Essensseite in diesem Blog). Die Einnahmen dieses Festes gehen allesamt an Kitas und Schulen. Ich versuche mir gerade als Banane verkleidete Hanseatinnen vorzustellen, die herzhaft in einen Wurm beißen. Absolut anbetungswürdig waren „The Twins.“ Zwei ältere rockende Damen, ein äußerst beliebtes Komikerduo aus Neuseeland. Bissig, witzig und mit trockenem Humor, wie die meisten hier.

Alpen? Ja. Die Southern Alps in NZ

The twins

Wild food festival
Nun also Stewart Island. die Insel mit 400Einwohnern hat im einzigen Ort der Insel, unter dessen Namesschild „Towncenter“ steht, einen (winzigen) Supermarkt, einen Pub, in dem man sich trifft, um das Neueste von seinen Nachbarn zu erfahren, einen Fish and Chips Laden, eine Post, eine kleine Bücherei, ein altes Hotel, das auch als Bank fungiert, ein winziges Museum, einen Souvenirshop und ein Minikino. dieses Kino zeigt dreimal am Tag den gleichen Film: einen 40-minütigen Streifen über die Insel, in der ein Hund durch den Film führt…

Stewart Island

„Towncenter“ Stewart Island

Unser Haus (blaues Dach) auf Stewart Island
Hier wohnen wir jetzt. In einem Häuschen direkt am Meer. Vom Bett aus blicken wir aufs Wasser, und beim Einschlafen hört man die Wellen an den Strand rollen. In der Bucht stehen noch drei weitere Häuser, doch die sind unbewohnt. Wenn mal jemand vorbei kommt, winkt man sich zu. Jeder grüßt hier jeden. Und jeder kennt jeden. Vorhin habe ich mal wieder, wie schon so oft auf dieser Reise, meine Kameratasche mit meine Spiegelreflexkamera liegen lassen. Diesmal im kleinen Kino. Als ich es bemerke, hat das Kino bereits geschlossen. Die Tresenfrau im Pub sagt: „No worries. I call Steven.“ Der Besitzer des kleinen Kinos kommt fünf Minuten später in einem quietschgelben Fiat Uno angefahren. Schlendert ins Kino, greift unter den Sitz und zieht meine Kameratasche hervor. „No problem. Glad I could help.“ Und rauscht davon. Naja, rauscht. Die Insel hat 22km befahrbare Straßen.

Ausblick vom Bett/Stewart Island
Wie unbewohnt und groß die Insel ist, habe ich heute beim Joggen bemerkt. Laufe in die nächste Bucht, dann sehe ich einen Track. Prima. Laufe ich einfach um den Hügel herum zurück. Der Weg windet sich nach oben. Dann wieder steil hinab. Vorbei an Baumriesen mit acht Riesenwurzeln, die zu einem gigantischen Stamm werden, vorbei an Riesenfarnen, Lianen und Papageien. Immer wieder fantastische Ausblicke. Aber auch: neue Buchten. Ich laufe seit mehr als einer Stunde. Steile Holztreppen hoch, zu Aussichtspunkten, dann wieder bergab und über Strände, durch Regenwald. Und denke jedesmal, bei jeder Bucht: das ist sie jetzt, unsere Bucht. Langsam werde ich unruhig. Und atemlos. Kein Mensch. keine Straße. nur die Natur und ich. Ich denke daran, dass ich vielleicht erst am Nachmittag zurück finde. Was Frank und die Mädchen in der Zwischenzeit wohl tun? Fünfzehn Minuten und zwei Buchten, Hügel, Regenwaldpassage später denke ich an die Schlagzeile: „Deutsche Touristin beim Joggen verschollen.“ Irgendwann, oberhalb der gefühlt 23. Bucht treffe ich menschliche Wesen. Und merke, dass ich anfange zu flehen, dass ich nach Hause will, in unsere Bucht und zu meiner Familie. Das neuseeländische ältere Paar, das gerade ein Picknick auf einem der Aussichtspunkte abhält, zeigt in die Ferne. Dort sei meine Bucht. Sie deuten auf einen Zaun. Ich könnte hier abkürzen. Die Frau will gerade das Tor öffnen, ich sehe es zu spät und klettere über den Zaun. Wahrscheinlich hält sie mich für hysterisch. Noch zwei Buchten umrunden und ich sehe von oben unser Häuschen. Lange schon habe ich mich nicht mehr so gefreut, meine Familie wieder zu sehen.

Auch Farne fangen mal klein an

Regenwald Stewart Island
Langsam werden wir panisch. Denn in vier Tagen müssen wir Neuseeland verlassen. Um auf die Cook Islands zu fliegen. Zum Traumziel Südsee. Nach Rarotonga. Allein der Klang lädt zum Träumen ein: Ra-ro-ton-ga. Wir fliegen zudem in einer Mini-Maschine für neun Tage auf eine weitere kleine Cook Insel, auf, laut Reiseführer und „Geo“ die schönste Lagune der Welt, nach Aitutaki. Dort wohnen wir in einer Hütte am Strand. Aber für uns ist das noch ganz weit weg und fast surreal. Aber noch sind wir hier und wollen nicht weg. Der Abschied wird sehr schwer fallen. Auch den Mädchen. Sie fragen immer, wie lange sie noch hier sein dürfen. Fast sechs Wochen sind wir dann in Neuseeland gewesen. Eine lange Zeit, und doch zu kurz. Viel zu kurz. Wir genießen darum jetzt umso mehr den Anblick der urzeitlichen Bäume und Farne, die nur hier wachsen, grinsen in uns hinein beim lauten Gesang des Tui, einem Vogel, der klingt, als hätte man einen Lautsprecher in den Dschungel montiert und auf volle Drehzahl gestellt, und erfreuen uns am Humor der Menschen hier.

Warnhinweis Stewart Island

Garagentor Stewart Island
Noch sind wir ja hier – wie schön – wollen noch runde Riesensteine bewundern und Albatrossen beim Landeanflug zusehen und noch ein bisschen staunen, hier am anderen Ende der Welt.
(Weitere Bilder stelle ich demnächst wieder in die Galerie).
Liebe Helen, liebe Antonia, lieber Frank, liebe Bettina,
Ihr habt es nach Stewart Island geschafft! Wie wunderbar, wie schön Euren Bericht zu lesen. Ich fühle mich, als ob ich wieder am Hafen von Stewart Island auf die Fähre zurück ans Festland warte. Ganz schön traurig war ich damals – aber auch ein bißchen froh…denn die Insel ist wirklich ebenso so schön wie einsam.
Hier in Hamburg scharrt der Frühling langsam mit den Hufen…Die Kinder in der Kita Emilienstraße spielen schon wieder ordentlich draußen und auch der Weberspark wird wieder in Beschlag genommen. Die Eisdielen sind auf! Jarla läßt sich Euren Blog immer gern vorlesen und bewundert auch die Fotos. Auch Deine Helen!
Habt weiterhin eine intensive Zeit und grüßt die Südsee,
Ina
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