Es gibt Orte in der Provence, die sehen aus wie aus einem Wimmelbuch, wie gemalt, und, im Falle von Cassis, fast schon ein bisschen zu hübsch, ein bisschen zu aufgerüscht, ein kleines bisschen zu Côte d’Azur. Und dennoch: très charmant. Solange wir dort nicht unseren gesamten Urlaub verbringen. Es macht Spaß, bei einem Apéro, die passend zur Kulisse aufgehübschten Menschen zu beobachten, die an einem vorbei flanieren, und es ist faszinierend, in die Calanques zu schippern, vorbei an den gigantischen Felsen.
Mit unseren Hausnachbarn wollten wir zwischenzeitlich in Marseille einer Regatta vom Boot aus beiwohnen, deren Start wegen zu wenig Wind jedoch verschoben wurde. Also haben wir nur den Vorbereitungen auf dem Wasser beobachtet, ohne das eigentliche Rennen. Antonia und Helen nutzten die Zeit für ein kleines Nickerchen, während wir uns angeregt mit Blandine und Gérard (unseren Nachbarn) unterhielten und nebenbei immer wieder die Silhouette von Marseille bewunderten. Alles in allem eine nette Bootstour. Wobei wir von den Nachbarn erfuhren, dass viele Touristen, aber auch Franzosen die Reise nach Südfrankreich dieses Jahr storniert hätten, weil es eine Terrorwahnung für Marseille gab. Am Hafen und in den vielen anderen Vierteln standen an jeder Ecke schwer bewaffnete Polizisten, die aussahen, als befänden sie sich im Krieg. Ein Bild, an das man sich nicht gewöhnen kann.
Im Panier, unserem Lieblingsviertel von Marseille, zerplatzte neben dem Cafe, in dem wir saßen, plötzlich ein Luftballon. Ein junger Mann erschrak und hüpfte zur Seite, er hob die Hände vors Gesicht, um dann erleichtert auszuatmen. Und sich anschließend noch einmal suchend umzuschauen, ob wirklich alles ok sei. Die Anspannung innerhalb der Stadt ist überall spürbar. Und dennoch fällt uns wieder auf, wie jedesmal, wenn wir in diesem südlichsten Landstrich Frankreichs, der Provence sind, wie gut gelaunt und entspannt die Menschen hier sind. Egal wo wir hinkommen, ob in die Boulangerie, auf einen Markt, oder an die Kasse im Supermarkt, Antonia und Helen bekommen etwas geschenkt oder etwas zum kosten, und wir alle einen netten Spruch und ein Lachen. Egal ob in der Großstadt Marseille oder in einem der kleinen Dörfer. In einem riesigen Supermarkt, dem zweitgrößten Europas (!), suchte ich einen Sancerre Wein. Verlor bei der Anzahl der Regale aber etwas den Überblick (allein das Regal für Champagner war 30 Meter lang). Ein Ehepaar fragte, welchen Wein ich suchen würde und tippte etwas in sein Handy, um die Region für Sancerre ausfindig zu machen. Dann suchten wir alle zusammen. Würden aber nicht fündig. Ich bedankte mich und gab auf. Tanz pis! Pas grave. Als wir später an Kasse 34 von 50 Kassen standen, kam das Ehepaar auf uns zugetankt. Mit einer Flasche rotem Sancerre, den weißen hatten sie nicht gefunden. Eines von vielen Erlebnissen mit Südfranzosen. Blandine, unsere Nachbarin, die selbst aus Rouen kommt und nie wieder zurück will, wie sie sagt, meinte, es läge am Klima und am Licht hier. An den Düften. An der Natur. Eben an allem, was Menschen wohl glücklich und zufrieden macht. Zufrieden macht uns hier nicht nur der tägliche tiefblaue Himmel und das sanfte Licht, sondern auch das Essen und die vielen Märkte. Wie überall in dieser Gegend, ist es jedoch kein Geschrei und Gerufe (die Franzosen sind eher stiller Natur, wie uns aufgefallen ist, egal ob im Restaurant, in der Bucht oder eben auf einem großen Markt, es wird leise gesprochen, viel gestikuliert, aber – leise. Wie laut ist es dagegen bei uns, wie laut sind wir oft selbst als Familie, das fällt uns hier extrem auf ). In Apt auf dem Markt haben wir uns zum Schutz vor der Sonne erst einmal Hüte gekauft, wir haben uns durch 98 Tarnendes probiert und 24 gekauft (so ungefähr), dazu scharfe Salami, Balsamico aus Waldbeeren, Roséweine, natürlich diverse Käse, die wir – bien sur – allesamt vorher durchprobiert haben, Seifen aus Marseille aus 72 prozentiger Olivenöl, und Olivenöl selbst, das hier eine Spezialität ist und süchtig macht.Genau wie der Honig – wahlweise mit Lavendel oder Rosmarin, aus dem Wald, mit Mandarinen oder Orangen oder eben pur, wir haben uns durchgetestet und dem jungen, sympathischen Bienenzüchter und Honigproduzenten diverse Gläser abgekauft. Die Franzosen lieben gutes Essen, la bonne bouffe, und wir – auch.
Es war ein herrlicher, en perfekter Tag, und dann haben wir noch in einer Gasse in einem gerade aufgemachten Restaurant gespeist. Die ganze Familie war im Einsatz, inclusive der Söhne, alle waren aufgeregt, das Essen vorzüglich, es gab die ganze Palette an provencalischen Spezialitäten, und ich habe der Mutter schnell noch drei bunte selbst gebrannte Schalen abgekauft für zu Hause, als Erinnerung an diesen Tag.
Es fällt auf jeden Fall positiv auf, diese gute Laune, und wir werden sie zu Hause sicher ab und zu vermissen. (Vielleicht liegt es auch einfach nur am Rosé. Oder am Pastis. Oder an beidem. Tant pis, was zählt, ist das Ergebnis…). Marseille jedenfalls gefiel uns erneut sehr. Eine lebendige Stadt mit verdammt rauem Charme.
Helen hat es mittlerweile erfolgreich geschafft, sich bis zum Pool unserer Nachbarn vorzuarbeiten. Indem sie sich, während Blandine ihre Runden im hauseigenen Nass schwamm, eine Plastikwanne geholt hat, ihre Fußspitzen reingehalten und sehnsüchtig rübergeschaut hat. Solange, bis Blandine sie und Antonia bat, rüberzukommen und sich in ihrem Pool abzukühlen. Und nicht nur das: sie kramte auch noch einen riesen Delfin aus dem Schuppen, blies ihn auf und warf anschließend einige Ringe ins Wasser, nach denen die Mädchen tauchen konnten. Das Verhältnis Deutschland-Frankreich ist also enger geworden. Auch ihr Hund und ihre kleine Katze kommen jetzt immer zu uns, zur großen Freude der Mädchen! Man rückt also zusammen, auch bei Tisch. Die Nachbarn luden uns zum Essen ein, genauer: zu einem Apéro-Diner. Bestehend aus einer Begrüßung mit Kir und Geplauder. Anschließend werden Blätterteigteilchen mit Olivenpaste (Tarpenade) gereicht. Man nimmt Platz und dann wurde aufgetischt: rote Beete Mousse mit Ziegenkäse, kalte Gemüsesuppe, Pizza mit Sardellen, Pizza mit Tomaten, ein Brot mit Oliven und Schafskäse gefüllt, Honigmelone, Gemüse, danach eine Käseplatte, danach ein Dessert. Und zu jedem Gang ein neues Getränk. Da der Abend so nett war und der Wein so gut (Blandine: „Das macht doch glücklich, oder? MIt Freunden zusammen zu sitzen und gut zu essen!“) – da haben wir also unseren Nachbarn spontan und gleich beim Abschied eine Gegeneinladung ausgesprochen. Um es kurz zu machen: es war prima. Franzosen sind schließlich auch nur Menschen, sogar in kulinarischer Hinsicht und Neuem gegenüber durchaus aufgeschlossen. Zudem sind unsere Nachbarn nicht nur nett, sondern auch offen und entspannt. Trotzdem hatte ich einen gewissen Ehrgeiz, der darin bestand, unsere deutsche Kochart halbwegs ehrwürdig zu vertreten. Einige der Speisen kannten unsere Nachbarn also nicht und haben sie trotzdem gegessen. Es war erneut ein sehr netter Abend.
Die Franzosen können aber nicht nur Charme und Essen, sie können auch Dörfer! Die gleich zum Dableiben einladen und zum sehnsüchtig auf Immobilienanzeigen glotzen und kurz den fantastischen Gedanken zu spin
nen: hier ab und zu leben dürfen? Wann immer man will? – Um dann schnell zur Patisserie zu gehen und erstmal auf neue Gedanken zu kommen…Frank und ich haben wieder festgestellt, dass under Herz für diese Gegend schlägt. Vor allem allerdings für jene zwischen Marseille und Toulon. Der Vorteil an dieser Gegend bei Aix und westlich von Marseille ist allerdings: an der Côte Bleue mit den Calanques, den kleinen Felsbuchten, in denen wir immer baden, sind wir bisher ausschließlich Franzosen begegnet. Und man erwartet bei der Stimmung dort fast, dass sich neben einem Alain Delon und Brigitte Bardot auf den Felsen sonnen. Eine Atmosphäre wie in einem alten französischen Film. Den „kleinen Nick“ mit seinen Eltern haben wir auch schon beobachtet…
Die Camargue noch etwas weiter westlich hingegen fasziniert durch das große Nichts, durch die weißen Pferde, die Flamingos und die fast wüstenartige, morbide Landschaft. Zum Leben etwas unwirtlich, aber die Weite tut gut. Die Stadt Arles hat ebenfalls viel von diesem morbiden Charme, und Van Gogh, der ehedem Ungeliebte, hat endlich eine Fon
dation ihm zu Ehren bek
kommen; wir blieben staunend vor jedem seiner Bilder stehen. Ein Ereignis, allein das. Arles ist aber auch Fotostadt und an vielen Häuserwänden sind Fotografien ausgestellt.
Eine Stadt, für die man Zeit braucht, eigentlich. Wir haben immerhin am Abend noch delicieux gegessen, in einem Restaurant, das uns eine Einheimische, eine Buchhändlerin, empfohlen hatte (bei der ich mir schnell noch ein provencalisches Kochbuch gekauft habe – wieder ein Stück Provence für zu Hause). Zu Hause warteten zum Glück schon die Katzen, deshalb ist es für die Mädchen immer ein großes Hallo, nach einer Tour wieder „nach Hause“, in unsere vorübergehende Unterkunft von Sophie und Olivier bei Marseille zurück zu kommen.
Von den Katzen müssen sich Antonia und Helen bald verabschieden, denn am Wochenende fahren wir über die Schweiz zurück und freuen uns schon sehr auf die Zeit bei unseren Freunden dort; Dich aber, chère Provence, nehmen wir in Gedanken mit, das Licht, die flirrende Hitze, die Düfte und die süchtig machenden Speisen, la bonne bouffe…